Tokyo 2020 – Der Sport passte, die Kultur fehlte

Tokyo 2020 – Der Sport passte, die Kultur fehlte

Das olympische Feuer ist erloschen, Tokyo 2020 offiziell vorbei. Hinter uns liegen 2 Wochen, in denen 11.090 Atheleten aus 208 Länder gegeneinander im sportlichen Wettstreit antraten. Olympia wurde bereits durch Kriege und Terror erschüttert, doch eine weltweite Pandemie stellte die Spiele erstmals vor ganz andere Herausforderungen.

Als Japan-Blog habe ich natürlich auch die Spiele in Tokio verfolgt, so weit es die ungewohnten Zeiten eben zuließen. Bei meiner Einordnung der Spiele gehe weniger auf die Einzelleistungen ein, sondern auf das Gesamtbild, das die Spiele für mich hinterlassen haben.

Ein Segen für die Sportler

Wegen der höheren Inzidenzen in Japan und der allgemeinen Stimmung der Bevölkerung bezüglich der Spiele, wurde kurz vor Beginn beschlossen, dass die Wettbewerbe (einige wenige Ausnahmen ausgeschlossen) ohne Publikum stattfanden.

Leere Tribünen sind nichts, das man sie für ein sportliches Großereignis wünscht. Gerade sportlich war für mich die Wirkung aber auch nicht all zu groß. Vor allem da es sich größtenteils nicht um große Mannschaftssportarten handelte. Außerdem geht es ja auch vor allem um den sportlichen Wettstreit, der auch für die Athleten sicherlich im Vordergrund stand.

Die Spiele abzusagen wäre für die Sportler weitaus schlimmer gewesen. Viele Sportler arbeiten Jahre auf diesen Moment hin. Für viele Sportarten ist eine olympische Medaille das größte, was sie erreichen können. Für viele Sportler ist es sogar die einzige Zeit, in der die ganze Welt auf ihren Sport schaut, der sonst in vielen Ländern ein Nischendasein genießt.

Das merkte man auch vielen Sportlern an. Natürlich ist es schade, zur Eröffnungsfeier in ein quasi leeres Stadion einzulaufen. Enttäuschung konnte ich jedoch kaum erkennen. Für die Sportler, die dort bereits vor Ort sein durften, war die Eröffnung trotzdem ein sehr emotionaler und vermutlich unvergesslicher Moment. Auch das olympische Dorf soll wohl ein Stück weit den olympischen Geist versprüht haben – auch wenn davon nur wenig an den Zuschauer drang. Dazu aber später mehr.

Etwas schwieriger waren die Bedingungen. Hitze machte vor allem den Sportlern unter freiem Himmel zu schaffen. Das traf vor allem die Ausdauersportller, die selbst zu früher Morgenstunde schon Temperaturen um die 30 Grad hatten. Für die Jahreszeit hatte man zumindest noch Glück mit der Taifunsaison gehabt, welche die Zeitpläne nicht großartig durcheinander warf. Trotzdem wäre es außerhalb dieser Saison klüger gewesen, die Spiele stattfinden zu lassen.

Menschen und Kultur fehlten

Wo mich die Spiele sportlich weitgehend abholten, fehlte mir das menschliche drumrum. Ich selbst weiß viel über die Menschen und die Kultur Japans. Die Umstände sorgten aber dafür, dass davon nur wenig an den Zuschauer transportiert wurde. Ich bin mir sicher, unter normalen Umständen wären die Spiele ein absolutes Highlight gewesen. Japan verbindet klassische Kultur und Moderne wie kaum ein anderes Land und die Japaner haben einen besonderen Sinn für Gastfreundschaft. Service und Höflichkeit, der eigentlich seinesgleichen sucht.

Das alles fehlte bei Tokyo 2020, weil es einfach nicht den japanischen Alltag gab und sowohl Sportler als auch die Presse in einer sehr isolierten Blase unterwegs waren. Für die Bevölkerung an sich gut, da sich durch diese Isolation viele Befürchtungen, die Spiele könnten Infektionsraten in die Höhe treiben, zerstreuten.

Es war trotzdem nicht der einzige Grund. Für deutsche Medien ist es schwer olympische Spiele zu zeigen, die einem 7 Stunden in der Zeit voraus sind. Die ersten Wettbewerbe begannen oft um Mitternacht, die letzten Wettkämpfe endeten, als viele Arbeitnehmer noch keinen Feierabend hatten. Es war also schon schwierig, überhaupt die Wettkämpfe ans Publikum zu bringen, wenn am frühen Abend schon das normale Tagesprogramm übernahm.

Eröffnungs- und Abschlussfeier lässt Potential liegen

Okay, ich bin popkulturell vorbelastet. Es hätte so einige Bands gegeben, die ich nur all zu gerne bei der Eröffnungs- oder Abschlussfeier gesehen hätte. Ganz vorne dabei Wagakki Band, die traditionell-japanische Instrumente auf einzigartige Weise mit Rockmusik mischen und dabei nicht nur musikalisch, sondern auch mit einer enormen Bühnenpräsenz bestechen. Auf der anderen Seite wäre da Babymetal, eine Mischung aus Jpop und Metal, welche die internationale Metalszene schon gewaltig auf den Kopf gestellt hat.

Natürlich kann die Feier nicht nur die junge Popkultur bedienen, aber etwas mehr hätte man diesen international bekannteren Teil der Kultur mit bedienen können. Zumindest die Gaming-Musik beim Einmarsch hat da zumindest ein bisschen was wettgemacht. Als Griechenland als erstes Land zur Musik aus Dragon Quest 11 einlief war das schon Hammer. Für den Unwissenden war es dennoch dezent genug, da japanische Spielesoundtracks sich mitunter nicht hinter bekannten Werken aus Film und Klassik verstecken müssen.

Zwar war dafür einiges an klassischer Kultur vorhanden, doch das Storytelling war etwas zu unspektakulär und trocken für ein weltweites Event. Ich erwarte schrilles Spektakel, aber selbst die vorhandenen Elemente hätte man bei so langer Vorbereitung einfach denkwürdiger inszenieren.

Bleibenden Eindruck haben eigentlich nur die live durch Personen nachgestellten Piktogramme, die ihren Ursprung in den letzten olympischen Spielen in Japan hatten, um die Sprachbarriere zu umgehen.

Der Abschlussfeier hatte zwar ihren Höhepunkt durch die Übergabe nach Frankreich, aber der Gesamtton war zumindest deutlich euphorischer. Trotzdem fehlte da irgendwie noch so dieses letzte Stück, um die Performance erinnerungswürdig zu machen. So war es dann doch eine Choreographie, wie man sie in der Art bei vielen Großveranstaltungen sieht – aber eben nicht mehr.

Fazit: Es fehlte am Ende der Zugang

Die Spiele Tokyo 2020 sind verdammt schwierig zu bewerten. Die Umstände waren denkbar ungünstig, vor allem weil die Spiele kurzfristig ganz unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Trotz einiger Infektionen unter den Athleten funktionierten sie aber trotzdem aus sportlicher Sicht sehr gut. Es war etwas heiß, aber wir durften miterleben, wie für viele Athleten trotzdem oder gerade wegen dieser schweren Zeit große Träume in Erfüllung gingen.

Es fehlte aber auch ein bisschen was. Die Menschen und die Kultur Japans waren nicht so greifbar wie sonst oft bei den Spielen. In erster Linie war es der besonderen Umstände geschuldet. Um die Spiele sicher über die Bühne zu bringen war keine Berichterstattung in einem sonst üblichen Umfang möglich. Und auch die Japaner hatten in diesen Tagen besseres zu tun, als Spiele zu feiern, die sie selbst gegen Ende weitgehend nicht mehr gewollt haben und von denen sie selbst durch Absperrungen selbst von außen wenig zu sehen bekamen.

Es lag aber nicht nur daran. Eröffnungs- und Abschlussfeier ließen viel Potential ungenutzt, alte und neue Kultur näher zu bringen. Außerdem war die Uhrzeiten für uns deutlich unbequemer, als beispielsweise in London 2012. Hätte ich nicht im Home Office die Möglichkeit gehabt, ab und an nebenher Tokyo 2020 laufen zu lassen, hätte ich so gut wie nichts live mitbekommen – und Zusammenfassungen sind einfach nicht das gleiche, wie einen Moment direkt zu erleben.

Ein kleiner Trost für mich persönlich ist, dass Japan so weniger Gefahr läuft zum nächsten Touristen-Hotspot zu werden, wenn ich da eigentlich meine Japan-Erfahrung machen möchte. Für viele Geschäftsbetreiber tut es mir dabei allerdings auch Leid. Schon Jahre vorher wurde viel Geld investiert, um Besuchern aus der ganzen Welt japanische Gastfreundschaft zu zeigen. Private Ausgaben, die sich am Ende nicht bezahlt machen.


Image by @erikzunder

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