Das Selbstverständnis der eigenen Heimat

Das Selbstverständnis der eigenen Heimat

Das mag nur eine vage Vermutung sein: Aber vieles, was ich in Tokio abfeiern werde, ist für die Locals absolut kein Ding. Da muss ich ja selbst nur in den Spiegel schauen, schließlich lebe ich in Hamburg, einer weltweit bekannten Stadt. Trotzdem habe ich viele beliebte Touristenziele selbst noch nicht mitgenommen.

Würde mich jemand nach den besten Orten in Hamburg fragen, wäre ich eher aufgeschmissen. Mein Geheimtipp übrigens: Einmal Jungfernstieg den richtigen Ausgang finden. Umstieg ist kein Problem, aber wenn man einen bestimmten Ausgang zum Ziel brauch… ganz andere Sache. Ich freue mich schon auf Shinjuku und Shibuya, welche die „Jungfernstieg-Experience“ wohl easy toppen. Das Miniatur-Wunderland ist übrigens auch etwas, das man in Hamburg – ob Touri oder Local – nicht verpassen darf.

Der Grund ist jedenfalls das Selbstverständnis der eigenen Heimat. Meine Kindheit verbrachte ich zwar größtenteils in Flensburg, aber ich lebe jetzt doch schon gute 20 Jahre in Hamburg. In der Anfangszeit war ich natürlich aufgeregter, wenn etwa ein Event in Hamburg war. Mittlerweile bin ich gewohnt, das eigentlich immer was los ist und man gibt nun auch nicht unbedingt Geld aus für typische Touri-Hotspots.

Das eigene Privileg nüchtern betrachtet

Trotzdem glaube ich, an sich ein gutes Gefühl für das „Privileg“ zu haben, in einer Stadt zu leben, für dessen Besuch viele Menschen ein kleines Vermögen ausgeben. Ich selbst bekomme dagegen halt Herzchenaugen, wenn ich japanische Wohngebiete sehe. Im Hinterkopf ist mir aber bewusst, dass es vor allem der Reiz des Exotischen ist.

So wie ich japanische Stadtbilder abfeier, dürfte es vielen Japanern gehen, wenn sie Hamburg erkunden. Im Prinzip ist Hamburg sogar um einiges grüner und Japaner dürften auch die Vielfalt unterschiedlicher Gebäudedesigns bestaunen, die teilweise in einer einzigen Straße stehen – inklusive üppiger Gärten – Platz haben wir, trotz horrender Preise, nämlich vergleichsweise viel. Zumindest Blankenese ist für mich aber auch faszinierend in Hamburg, da die stufige Anordnung der Häuser an italienische Küstenorte erinnert. Aber auch hier das ungenutzte Privileg: Irgendwie war ich bislang nur zwei Mal dort dort.

Auch habe ich in meiner kurzen Studienzeit (eigentlich viel zu spät) erstmals Planten und Blomen entdeckt, wo einst die internationale Gartenausstellung war. Mitten in der Stadt eine so riesige und dabei trotzdem auch sehr abwechslungsreiche Parkanlage zu haben ist auch kein Selbstverständnis. Als Kind hät ichs womöglich trotzdem nicht annähernd so geschätzt, weil ich erst spät zum „Spaziergänger“ wurde.

Ein bisschen Demut schadet nicht

Auch wenn ich trotzdem nicht übermäßig viele Hotspots in Hamburg „besichtige“, schadet es nicht, ab und an zu reflektieren, was für ein Glück man womöglich hat, zu Leben wo man tatsächlich lebt.

Bei mir im speziellen ist Hamburg natürlich wirklich eine Weltstadt. Aber ich glaube das ist nicht immer nötig. Auch in Flensburg erinner ich mich noch gut an die ein oder anderen Dinge, die ich in Hamburg schließlich vermisst habe. Sogar auf dem Land gibt es vieles, auf das auch Städter eifersüchtig sein dürfen. Das entschleunigte Leben, die Nähe zu Tieren und Natur und auch das etwas persönlichere weiß man womöglich nicht zu schätzen, ehe man sich in die anonymen Menschenmassen der Großstadt flüchtet.

Ich selbst habe meine eigene Wohngegend erst durch meine täglichen 10.000 Schritte genauer entdeckt. Dass ich sogar Kühe, Ponys und Rehe nur 30-40 Minuten fußläufig entfernt hatte, wusste ich einfach nicht. Auch die vielen kleinen Flüsse und kleinen, grünen Oasen habe ich erst dann so wirklich realisiert. Hier verirrt sich kaum ein Tourist hin und doch sehe ich mittlerweile, was für eine eigentlich schöne Wohngegend ich aktuell genieße. Und ich weiß, dass es in Hamburg viele solche Orte gibt, die touristisch kaum erschlossen sind, aber trotzdem einfach schön sind.

Das  ändert aber nichts daran, dass mich japanische Städte und Siedlungen verzücken. Als Nordeutscher fasziniert mich, dass man selbst von Tokio etwa den Fuji-San sehen kann, obwohl er weit weg ist. Aber auch andere Berge sind locker in einem Tagestrip machbar. In Tokio selbst bin ich gespannt, welche Ziele sich auch spontan ergeben. Manches sieht man erst, wenn man zufällig darüber stolpert. Das touristische nehme ich selbstverständlich mit, aber ich freue mich genauso auf das völlig banale Tokio, dass für die Einheimischen Alltag ist.


Image by DLKR via Unsplash

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