
Hat Japan ein Tourismus-Problem?
Es scheint fast, als hätte Japan ein Tourismus-Problem. Immer häufiger gibt es Negativschlagzeilen über Besucher, die sich einfach nicht benehmen können. Städte beschließen daher zunehmend radikale Maßnahmen, wie etwa die privaten Gassen des Gion-Viertels für Touristen zu sperren.
Auch Zahlen bestätigen den Eindruck: 2024 besuchten fast 37 Millionen Touristen Japan – mehr als die 33,4 Millionen Auslandstouristen aus 2019, der vorigen Spitzenwert. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Besucherzahlen um fast 50 Prozent an. Allerdings lockerten sich nach Corona die Einreiseregeln der besuchsstarken asiatischen Nachbarn teils sehr spät.
Aber ist das schon Grund zur Besorgnis? Das offizielle Ziel der Regierung bis 2030 liegt nämlich sogar bei 60 Millionen Auslandstouristen. Ist das zu viel gewollt?
Eigentlich hat Japan kein Tourismus-Problem
Obwohl ich euch Japan ja gerne schmackhaft mache, muss ich schon zugeben das Japan am schönsten finde, wenn es nicht von Touristen überlaufen ist. Die Zahlen selbst sind aber wenig besorgniserregend. Die 37 Millionen Touristen kommen auf 124,5 Millionen Einwohner. Außerdem verteilen sie sich auf ein ganzes Jahr. Gerade im Vergleich mit einigen anderen beliebten Urlaubszielen sind die zahlen harmlos.
Island hatte etwa 2,3 Millionen Touristen auf eine Bevölkerung von knapp 400.000 Einwohnern. Auch Kroatien hat eine große Touristendichte mit 21,3 Millionen Auslandsbesuchen auf 3,86 Millionen Einwohner. Spanien, das beliebteste Urlaubsziel der Deutschen, wurde von 94 Millionen Touristen besucht, gut das doppelte der 48,35 Millionen Einwohner. Da scheint selbst das Ziel von 60 Millionen Touristen für Japan einfach zu wuppen. Zum Teil hat Japan aber tatsächlich ein Tourismus-Problem.
Problem 1: Die goldene Route & Hotspots
Die Touristen verteilen sich in Japan nicht gleichmäßig auf das Land. Fast jede Reise beinhaltet vor allem die goldene Route, die Strecke von Tokyo bis Kyoto. Tokyo ist als größte Metropole der Welt und popkulturelles Zentrum des Landes für keinen Erstbesucher und selbst für viele Wiederholungstäter nicht vom Reiseplan wegzudenken. Ähnlich verhält es sich mit Kyoto als kulturhistorisches Zentrum des Landes mit guter Anbindung zu weiteren kulturellen Hotspots. Kyotos Nachbarstadt Osaka ist mit seiner etwas rebellischeren Mentalität auch längst auf der Karte der meisten Besucher gelandet. Über 70 Prozent der Übernachtungen fallen auf diese 3 Städte.
Aber ich verrate euch mal was: Auch das ist eigentlich kein Problem. Allein Tokyo hat 14 Millionen Einwohner, die Metropolregion ist sogar bereits auf 41 Millionen Bewohner gewachsen. Damit wäre das Verhältnis immer noch besser als in einigen beliebten Urlaubsländern, wenn sämtliche Japan-Touristen nur in Tokyo wären. Auch wenn meine Reise 2023 noch minimal ruhiger war, kann ich bestätigen: Es liegt vor allem an den Hotspots. Natürlich findet man fast überall in der Stadt Touristen, aber so wirklich krass ist es halt um die bekannten Sehenswürdigkeiten.


Manchmal reicht es 1-2 Seitenstraßen zu nehmen und schon läuft man fast nur noch Japanern über den Weg. Habt ruhig Mut zur Neugier und erkundet mal etwas abseits des Trubels. Bei der Shibuya Crossing inklusive Hachiko oder der Takeshita Street in Harajuku gehören die Menschenmassen vielleicht schon fast zum Erlebnis. Aber modische Tokyoter kennen bereits deutlich preiswertere Alternativen für Modetrends als das touristenverseuchte Harajuku und die coolere Hachiko-Statue gibt es eigentlich an der Tokyo Universität und da sie kaum wen bekannt ist, könnt ihr dort recht ungestört Fotos machen.
Natürlich werden auch manche Geheimtipps zunehmend bekannter. Nakano Broadway ist mittlerweile auch bei vielen westlichen Manga- und Videospielfans eine beliebte Alternative oder Ergänzung zu Akihabara. Auch Kichijoji oder Ikebukuro landen immer mehr auf der Bucketlist. Aber das ist okay: Je mehr Alternativen es gibt, desto mehr können sich die Massen verteilen. Und es gibt noch immer mehr als genug Nachbarschaften die kaum besucht werden. Mein Airbnb lag richtig angenehm in einer typischen Wohngegend. Dort war ich dann einer der wenigen „Gaijin“.

Problem 2: Social Media / Influencer
Dass die goldene Route überhaupt so unverzichtbar ist und bestimmte Hotspots überlaufen sind liegt natürlich auch an den sozialen Medien. Jeder möchte gern zeigen, dass er an ikonischen Orten ist, die andere sofort erkennen. Man möchte einfach das Selfie auf der Shibuya Crossing oder ein hübsches Bild vom goldenen Pavillon oder dem Fushimi Inari-Schrein in Kyoto haben. Dafür sorgen natürlich auch die Influencer, die ihrerseits auch vor allem sehr bekannte Motive in Japan aussuchen.
Das eigentliche Ärgernis sind aber vor allem die Influencer, die sich überhaupt nicht zu benehmen wissen. Immer häufiger gibt es Schlagzeilen von besonders unreifen Exemplaren, die sich komplett entgegen der gesellschaftlichen Regeln benehmen oder sogar völlig bewusst versuchen Ärger anzuzetteln.
Es sind aber nicht immer nur die Influencer. Ein Konbini hat seine traumhafte Aussicht auf dem Fujisan bewusst mit einer Barriere zerstört. Die Touristenmassen und ihr Müll wurden zunehmend zum Problem und manche kletterten für das perfekte Foto sogar auf Gebäude. Für die Anwohner hoffe ich, dass der Ort damit wieder so weit vom Instagram-Radar verschwindet, dass der ungetrübte Blick auf den Fujisan wieder möglich ist. Auch die privaten Gassen des Gion-Viertels wurden für Touristen gesperrt, nachdem diese auch zu aufdringlich gegenüber der Geishas und Maikos waren.


Problem 3: Die japanische Gesellschaft
Dass Japan ein kleines Tourismus-Problem hat, hängt gewissermaßen auch mit der japanischen Gesellschaft zusammen. Japan war lange ein sehr isoliertes Land und hat dadurch eine sehr homogene Gesellschaft. Eigentlich jeder Japaner ist mit der japanischen Kultur verwurzelt.
In Japan hat sich dadurch auch ein starkes Gemeinschaftsdenken entwickelt. Damit meine ich nicht, dass die Japaner übermäßig gesellig sind, sondern dass das Wohl der Gemeinschaft oft über dem eigenen steht. Man müllt weniger zu, verhält sich ruhig in Bahnen oder verwendet eher neutrale Deos und Parfüms, die andere nicht belästigen. Eine häufige Redewendung in Japan ist auch, dass der hervorstehende Nagel eingeschlagen werden muss. Falls ihr noch mehr darüber wissen wollt empfehle ich euch auch meinen Artikel über die Höflichkeit in Japan.
Auslandstouristen kennen diesen Gemeinschaftsdenken weniger und sind damit zunehmend mehr hervorstehende Nägel. Das kann manchem Japaner auch stören, wenn zu viele Touristen an einem Ort zusammen kommen und das Selbstverständlichkeit der Höflichkeit dadurch bedroht wird. Das heißt natürlich keineswegs dass Japaner eine Abneigung gegen Touristen haben. Trotzdem ist es ein größerer Störfaktor als in einer Gesellschaft die ohnehin schon Multikulti und deutlich ich-zentrierter ist.
Für beide Seiten eine Herausforderung ist außerdem die Kommunikation. Nicht viele Japaner sprechen gutes Englisch und gerade außerhalb der Touristen-Hotspots ist man beidseitig schnell auf Übersetzungshilfen oder Handsprache angewiesen. Das sollte euch übrigens nicht zu sehr aufhalten. Mit den richtigen Apps kommt man überall gut zurecht und bekommt eine authentischere Japan-Erfahrung.